Der Lotse geht von Bord. Das Schiff der russischen Public Art war ohnehin nicht überbesetzt, mit Jurij Samodurov geht nun einer ihrer engagiertesten und erfahrensten Protagonisten und Ideologen.
Wie es zu diesem Schritt gekommen ist, erläutert er in einem offenen Brief an den Künstler Oleg Košelets, dessen Installation “Flagi, grabli i skul’ptura Stalina // Flaggen, Harken und eine Stalinskulptur” kürzlich (am “den’ goroda” // “Tag der Stadt” – 1./2.09.2012) nicht im Rahmen des von Samodurov zusammen mit Michail Pogarskij kuratierten Projekts “Otkrytoe Pis’mo // Offener Brief” im Park der Künste Muzeon gezeigt werden durfte (man bezeichnet es wohl als einen “Treppenwitz”, dass Samodurov als Mitkurator sich im Medium des Offenen Briefs an den Künstler wenden musste, dessen Installation im Rahmen der Aktion “Offener Brief” nicht stattfinden durfte…). In dem Projekt ging es um die Interaktion der Zuschauer mit den im Park vorhandenen Skulpturen. Stein des Anstoßes wurde die Installation von Košelets, da sich die Harken mit Flaggen um eine Stalinskulptur herum gruppierten, die offenbar von der Parkverwaltung als unantastbar angesehen wird.

Олег Кошелец “Флаги, грабли и скульптура Сталина” //
Oleg Koshelets “Flagi, grabli i skul’ptura Stalina” (2012)
source: @Oleg Koshelets
Urheber der Aktion ist das “Kočevoj muzej sovremennogo iskusstva” // “Wandermuseum für zeitgenössische Kunst”, welches im Rahmen der Moskauer Frühjahrskundgebungen (Spaziergänge von Literaten und Künstlern im Zuge der Demonstrationen der russischen Opposition, konkreter hier) zum ersten Mal in Erscheinung getreten ist. Und auch der Ort des sich neu profilierenden Parks “Muzeon” ist nicht zufällig gewählt: Dieser spannende Ort vereint das bildhauerische Kunstschaffen der Akademiemitglieder und die hier wiedererrichteten Denkmäler bzw. sowjetische Symbolik, die Anfang der 90er Jahre in der ganzen Stadt geschleift wurden und der Zerstörung entgangen sind. Diesen Raum, dieses “Freilichtmuseum” im Rahmen von Public Art Projekten weiter zu bespielen, ästhetisch und politisch zu inszenieren, ist nicht nur Konzept der derzeitigen Umgestaltung des Parks, sondern auch Thema konkreter Kunstprojekte wie der Aktion “Otkrytoe pis’mo” und Installationen wie der von Oleg Košelets. Eine wirkliche Destalinisierung hat offenbar auch auf dem Gebiet der Kunst noch nicht stattgefunden.
[Das ist eigentlich ein eigener Artikel, daher nur kurz: Das hier verarbeitete Motiv der Harke oder des Rechens ist ein in vielen Installationen und Ausstellungen immer wieder verwendeter "Klassiker" von Košelets und thematisiert je nach Kontext die Ökologie der ästhetischen, politischen oder individuellen Beziehungen, die Harke als Objekt/Readymade/Werkzeug dazu mit Anklängen an Duchamp und Beuys, zusätzlich aufgeladen mit Metaphorik und assoziativen Anklängen an die Folklore.]
Noch im April veranstaltete Samodurov einen Runden Tisch des Staatlichen Zentrums für Zeitgenössische Kunst (ГЦСИ // NCCA) zum Thema “Kunst im öffentlichen Raum” (hier). Es ging bei dieser Veranstaltung um die Frage, welche Funktion Kunst in der Stadt hat, warum Moskau bisher über so gut wie keine Kunstobjekte im Stadtraum verfügt und letztlich auch um eine Ideensammlung “unter Kollegen”, wie dieser Situation beizukommen sei. Der verbitterte und enttäuschte Abgang Samodurovs wird die Etablierung von Kunst im öffentlichen Raum Moskaus sicher nicht aufhalten, wohl aber die öffentliche Diskussion darüber zurückwerfen.
Tags: Jurij Samodurov, Oleg Koshelets, грабли, Олег Кошелец, Парк Иксусств Музеон, Юрий Самодуров