Nach kürzlich bekannt gewordenen Plänen des russischen Kulturministeriums soll das budgetfinanzierte Staatliche Institut für Kunstwissenschaft (Gosudarstvennyj institut iskusstvoznanija, GII) mit vier weiteren Forschungsinstituten (namentlich die Institute für Kulturologie, Restaurierung und Kulturerbe und Kunstgeschichte) zu einem “Geisteswissenschaftlichen Zentrum” fusionieren. Die Mitarbeiterzahl würde wie nebenbei auf ein Achtel der derzeitigen rund 800 Beschäftigten gekürzt. Das Ziel: direkter Zugriff des Ministeriums auf Inhalte und Ausrichtung der Forschung, Effektivität ist das Zauberwort, direkter politischer und gesellschaftlicher Nutzen der Forschung die Forderung des Tages. Seitdem sind die Zeitungen, Blogs und sozialen Netzwerke voll, die Reaktionen des GII stürmisch und die Solidaritätsbekundungen der Intelligencija zahlreich.
Trotzdem sind zwei Dinge auffällig anders als in den Protestbewegungen der letzten Monate und Jahre:
- Nicht, dass es nicht absehbar gewesen wäre, aber hier trifft es inhaltlich wie strategisch unvorbereitete Mitarbeiter der staatlichen Institute, im Protest ungeübte Wissenschaftler. Petitionen und Protestbriefe werden von außenstehenden Autoren verfasst, es werden Versammlungen abgehalten (Minister Medinskij war da!), keine Meetings, wie öffentliche Meinungsbekundungen im Protestjargon der Moskauer heißen. Man lädt das solidarische Publikum, welches sich zahlreich über FB der Versammlung, anschließen wollte, wieder aus, in der Angst, es könne zu nicht genehmigten und unkontrollierbaren Menschenaufläufen kommen. Geht man so mit der interessierten Öffentlichkeit um? Wird der Zusammenhang zwischen dem aktuell geplanten Kahlschlag in den Geisteswissenschaften und dem derzeit herrschenden Obskurantismus in der Gesellschaft nicht gesehen?
- Niemand bestreitet, dass grundlegende Reformen in den geistes- und kulturwissenschaftlichen Forschungsinstituten längst überfällig sind. Sie werden als Relikte des sowjetischen Bildungssystems angesehen, ihre Arbeit spielt im öffentlichen Bewusstsein und in der zeitgenössischen Kunst keinerlei aktive Rolle. Kulturminister Medinskijs Forderung, die Wissenschaft solle dem Elfenbeinturm entsteigen, kontert Prof. Guseinov von der Higher School of Economics in einem Interview mit der Feststellung: von einem Elfenbeinturm könne keine Rede sein, höchstens von einer Atrappe aus Pappmaché.
Ich selbst verfolge die Vorkommnisse mit regem Interesse. Einerseits habe ich gerade selbst einen halbjährigen Forschungsaufenthalt am GII absolviert. Fühle mich daher quasi als externe Mitarbeiterin und insofern persönlich betroffen von den geplanten Schließungen. Ich bin Direktor Dmitrij Trubočkin persönlich dankbar für die administrative Hilfe bei Einladungen und Visabeschaffung, die er mir hat angedeihen lassen.
Aber vor Ort fühlte ich trotz der zentralen Lage des Instituts die Abgeschiedenheit der dortigen Forschung von aktuellen Diskursen in Wissenschaft, Kunst und Gesellschaft. Die Reformbedürftigkeit als ätherische Grundkonstante. Darf man so etwas als “kleine Doktorandin”, noch dazu aus dem Ausland, überhaupt sagen? Wo bleibt der Respekt vor den zahlreichen hier forschenden und lehrenden Koryphäen? Vor den historischen Errungenschaften des Instituts? Nun, ich bin ihnen kaum begegnet, hatte keine Chance, den Giganten auf die Schultern zu klettern, um die Aussicht zu verbessern. Den Kontakt zu den Riesen habe ich anderswo gesucht und gefunden, den akademischen Austausch begonnen.
Und noch etwas möchte ich hinzufügen: Als Wendekind habe ich vielleicht ein besonderes Gespür dafür, wie es ist, wenn von Außenstehenden die Lebensleistung ganzer Generationen als nicht mehr relevant abgewertet und mit wenig bürokratischem Aufwand abgewickelt wird. Ende der 90er Jahre haben wir an den Berliner Unis die letzten mit der Wiedervereinigung zusammenhängenden Umstrukturierungen noch live miterlebt. Institutsschließungen aus Haushaltsgründen setzen sich bis heute fort. Warum gelingt kein Dialog? Warum werden die Betroffenen nicht einbezogen? Welchen Sinn macht es, Verbitterte und Besiegte zu hinterlassen, anstelle von motivierten Mitgestaltern eines dringenden Prozesses?
Medinskij droht sogar mit dem Jahr 1943: Im Gründungsjahr des GII wäre ein Dialog zwischen Ministerium und darunterliegenden Strukturen komplett undenkbar gewesen… Man solle noch dankbar sein, dass die Kürzungen nicht einfach verordnet und per Aushang an den Flurtüren des Instituts bekannt gemacht worden seien. Was für eine Ansage. Da ist er wieder, der Medinskij, der von Stalin als einem effektiven Manager spricht… Und der selbst zu bedauern scheint, nicht in diese Zeit geboren worden zu sein, in der politische Prozesse durch Drohungen und Alternativlosigkeit effektiviert wurden.
(Hier noch eine Linkliste zu weiteren Presseveröffentlichungen der letzten Tage)
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